Das Gebot der physischen Distanz in der Coronakrise wirkt sich besonders schwer auf Patenschaften mit Geflüchteten aus, da Mentor und Mentee in vielen Fällen kaum eine gemeinsame Sprache sprechen und ihre Patenschaft bis dahin eher von gemeinsamen Aktivitäten als Gesprächen gelebt hat.
Ein guter Teil der MentorInnen gehört aufgrund ihres Alters einer Risikogruppe an oder ist durch die Kombination von home office und Betreuung der eigenen Kinder ausgelastet. Manche meiden auch den physischen Kontakt zu anderen, um geschwächte Personen in ihrem persönlichen oder beruflichen Umfeld nicht zu gefährden.
Wenn es sich bei den Mentees um jüngere Kinder handelt, sind diese zudem nicht in der Lage, per Telefon oder Videotelefonie gewinnbringend mit ihren Mentoren in Kontakt zu bleiben. Und auch nicht alle Mentoren sind technisch so ausgestattet und versiert, dass beispielsweise Videogespräche über eine Internetverbindung für sie eine Option sind. Angesichts all dieser Schwierigkeiten ist es umso schöner zu sehen, dass es Patenschaften gibt, die auch unter erschwerten Bedingungen funktionieren, sich zum Teil sogar intensivieren.
Die nachfolgenden Texte und Fotos sollen Mentorinnen, Mentoren und Mentees vorstellen, denen es gelungen ist, sich ideenreich und anpassungsfähig auszutauschen, zu lernen und Spaß zu haben. Mit dem Einverständnis der Dargestellten werden die folgenden Einblicke in die Patenschaften veröffentlicht, um den enormen, in manchen Fällen lebensverändernden, Einsatz der MentorInnen zu würdigen, zu feiern und andere Engagierte zu inspirieren.
Als Koordinatorin des Mentoring Programms würde ich mich sehr freuen, wenn sich weitere MentorInnen bei mir melden und auch von kleinen Erfolgen, geglückten Umstellungen und überwundenen Hindernissen, gerne mit Fotos, berichten würden.



Das ehrenamtliche „Nachhilfeinstitut“


Einer von Ingos Mentees ist Waqas Ahmad aus Pakistan, der im 2. Jahr der Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker ist und für den Berufsschulstoff auf Ingos Hilfe angewiesen ist. Dass sowohl Ingo als auch Sabine Elektrotechnik studiert haben, kommt in der Situation sehr gelegen.
Ingo arbeitet aktuell nur halbtags am Vormittag und unterrichtet nachmittags und gelegentlich abends seine Mentees. Bismella ist aus Afghanistan und im 3. Lehrjahr als Augenoptiker. Mit ihm nimmt Ingo täglich Material aus der Berufsschule durch. Eine andere Engagierte unterstützt den werdenden Optiker in den Fächern Deutsch und Gemeinschaftskunde. Auf ungewohntem Terrain bewegt sich Ingo mit einer Syrerin, die in der 11. Klasse eines Wirtschaftsgymnasiums ist und unter anderem Unterstützung in Deutsch, etwa bei der Gedichtinterpretation, braucht. Dies ist nach eigener Aussage gar nicht Ingos Stärke, er geht die Herausforderung aber nichtsdestotrotz tapfer an. Wenn es die Zeit zulässt, lässt er sich dabei gerne von Sabine unterstützen.
Sabine ist zurzeit nicht berufstätig und gibt viele Stunden täglich zwei Teenagerinnen (5. Klasse Gymnasium und 9. Klasse Realschule) sowie zwei Schülerinnen Anfang 20, die an einer zweijährigen Berufsfachschule für Hauswirtschaft und Ernährung sind und Ende Mai ihre Abschlussprüfungen haben, Nachhilfeunterricht. Alle vier kommen aus Syrien. Gerne lässt sie sich die Aufgabenblätter per Email oder Telegram zuschicken, bereitet sich ggf. vor und bearbeitet dann per Skype mit ihnen die Aufgaben.
Sabine kümmert sich um sämtliche Schulfächer, von Mathematik über Fremdsprachen und Naturwissenschaften bis hin zu neuen Fächern wie WBS (Wirtschaft, Berufs- und Studienorientierung). Auch Präsentationen bereitet Sabine gemeinsam mit ihren Mentees vor. Zusätzlich erstellt Sabine am Computer Musterlösungen zu Mathe-Prüfungsaufgaben, damit die Mentees etwas zum Nachlesen in der Hand haben.

Doch wie genau verläuft der Unterricht? Die beiden setzen sich vor ihre PCs und verbinden sich über Skype mit ihren Mentees. Nach einem kurzen „Begrüßungsschwätzchen“ stellen sie ihre Bildschirme auf „Teilen“, so dass ihre Mentees ihre Bildschirminhalte und die Bewegungen der Maus sehen können.
Auf diese Weise können Sabine und Ingo mit einem elektronischen Whiteboard arbeiten. Am Anfang verwendeten sie OpenBoard, mittlerweile überwiegend Microsoft Whiteboard.
Diese Programme ermöglichen eine handschriftliche Eingabe, so dass Formeln geschrieben und Zeichnungen gemacht werden können und bei den Mentees deutlich auf dem Bildschirm zu lesen sind. Mit Skype kann Sabine auch Videos mit Ton mit ihren Mentees teilen, so dass es möglich wird, auch Aufgaben zu bearbeiten, die auf dem Ansehen eines Lehrvideos aufbauen.
Sabine nutzt auch gerne Microsoft Vollbildausschnitt, das zusammen mit Microsoft Whiteboard als Paket kommt. Damit kann Sabine Dokumente jeglicher Art und Bilder per Hand beschriften. Hierzu sendet der Mentee ein Foto seiner Lösung via Telegram und Sabine öffnet dieses Bild, so dass beide es sehen können. Nun kann Sabine Fehler per Handeingabe korrigieren.
Zur Eingabe nutzt Ingo sein IPad, das via Cloud mit seinem Rechner verbunden ist. Mit dem IPad-Pencil kann er auf den IPad-Bildschirm schreiben und zeichnen. Das wird nahezu gleichzeitig auf seinem PC und damit auf dem des Mentees angezeigt. Sabine verwendet hierfür nicht ihr IPad, sondern ein Grafiktablett, dass via USB-Port an ihrem Rechner angeschlossen ist. Dies hat den Vorteil, dass die Anzeige in Echtzeit erfolgt, da der Weg über die Cloud entfällt. Allerdings erfordert es etwas Übung, da man ohne hinzusehen auf dem Tablett schreiben mus,s und die Anzeige nur auf dem Bildschirm des PCs sieht.
Manchmal ist es auch sinnvoll, dass beide gleichzeitig an einem Dokument arbeiten oder dem anderen technischen support leistet. Dann verwenden Ingo und Sabine Teamviewer anstelle von Skype. Per Teamviewer können ihre Mentees nicht nur die Bildschirminhalte ihrer Mentoren sehen, sondern auch die Bewegungen der Maus oder des Stifts. Gleichzeitig können die Partner mit Teamviewer einander hören.
„Um etwas zu zeichnen, haben wir am Anfang die Webcam auf unsere Tafeln gerichtet, aber es gab immer wieder Probleme, weil die Stifte zu blass waren. Dann stiegen wir auf OpenBoard um. Damit kann man Freihandlinien und gerade Linien zeichnen sowie Text mit der Tastatur schreiben. Inzwischen verwenden wir meistens Microsoft Whiteboard. Damit kann man gleichzeitig mit mehreren Geräten arbeiten.“

Sabine und Ingo sind inzwischen so vertraut mit der neuen Technik, dass sie sie nach Ende der Kontaktsperre ergänzend zum direkten Kontakt auf jeden Fall weiternutzen werden, z.B. für Mentees, die lange Anfahrtswege haben.
Aktivitäten für Schulkinder und selbstgenähte Masken

Ilka ist seit vielen Jahren Mentorin und hilft normalerweise sechs Kindern im Grundschulalter aus vier Familien jeweils einzeln einmal pro Woche mit den Hausaufgaben. Vor der Coronakrise kamen die Kinder zu ihr nachhause, zu Beginn der Kontaktsperre versuchte sie dann über whatsapp und Telefon zu unterstützen, was aber wenig erfolgreich war wegen nicht doppelt vorhandener Bücher und dem geringen Alter der Schüler.
Daraufhin beschloss sie, die Kinder unter Einhaltung aller Hygienempfehlungen zweimal wöchentlich einzeln bei sich zu Hause für jeweils eineinhalb Stunden zu unterrichten. Da es in der Zeit warm und trocken war, konnten sie im Garten sitzen, Ilka zur Sicherheit mit Maske.
Farbig ausgedruckte Unterrichtsmaterialien warf sie den Kindern in den Briefkasten und legte für jedes Kind eine Mappe mit den Arbeitsaufträgen an.
Woher ich als Koordinatorin des Mentoring Programms so gut über die Details Bescheid weiß? Ilka setzt mich in ihren ausführlichen Mails an alle sechs Lehrerinnen immer in cc 😊.
Mit der Hausaufgabenbetreuung war es aber noch nicht getan, Ilka bestellte ein Trampolin und fast zwei Dutzend Softbälle zum Verschenken und in der Wohnung spielen. Auf dem Trampolin im Garten dürfen sich die Kinder seitdem im Schichtbetrieb austoben.
Daneben stellte sie anderen Mentoren großzügig Spielanleitungen in Whatsapp Gruppen zur Verfügung, filmte Bastelvideos und stieg schließlich in die Alltagsmaskenproduktion ein.


Die von ihr mit Masken ausgestatteten Familien erhalten eine Desinfektionsanleitung auf Deutsch, Englisch, Arabisch und Persisch.

Das Maskennähprojekt der Evangelischen Kirche

Die Evangelische Kirche in Ostfildern-Kemnat initiierte vor einigen Wochen ein ehrenamtliches Maskennähprojekt, an dem über ein Dutzend Engagierte mitarbeiten.
Mehrere Näher sind Geflüchtete und aktuelle oder zukünftige Mentees und haben dazu beigetragen, dass 1.000 Masken für Erwachsene produziert und gegen Spenden an Individuen und an Institutionen kostenlos abgegeben werden konnten.
Der FK Asyl Ostfildern veröffentlichte eine entsprechende Meldung auf seinem nebenan.de Profil, was viele positive Reaktionen in der Bevölkerung hervorrief. Die vorbereiteten Tüten mit den Materialien für jeweils zehn Masken werden an Näher ausgegeben, die die Masken entweder in Heimarbeit oder vor Ort im Gemeindehaus nähen.


Einer der ersten Geflüchteten, der sich beteiligten, ist ein Schneider Ende 40 aus Aleppo, der vor einem guten halben Jahr mit seiner Frau und fünf Kindern nach Deutschland kam.
Er sagt, dass es ihm trotz des Fastens im Ramadan leichtfällt, mehrfach pro Woche ins Gemeindehaus zu gehen und dort jeweils zwei, drei Stunden zu arbeiten, inzwischen sogar mit seiner Frau und dem ältesten Sohn.
Seit seiner Ankunft in Deutschland hatte nur der Deutschkurs seinem Alltag Struktur gegeben, und der ist ebenso wie die Schule für die älteren Kinder bis auf weiteres ausgesetzt.
Das Maskennähprojekt ermöglicht es ihm, nicht nur regelmäßig aus den beengten Wohnverhältnissen zu kommen, sondern seine Fähigkeiten in seinem erlernten Beruf unter Beweis zu stellen und dazu noch der Aufnahmegesellschaft etwas zurückzugeben. Er berichtet, dass ihm diese Aufgabe seelisch sehr gut tut und er sie mit Freude verrichtet.
Vielleicht gibt es die Möglichkeit, das gemeinsame Engagement von geflüchteten und nicht geflüchteten Nähern nach der Coronakrise fortzuführen, Ideen gibt es bereits.

Aktuell steht aber die Produktion von Masken für Kinder im Vordergrund, ein hübsches Beispiel sehen Sie hier.
