„Was uns eint, ist wichtiger als das, was uns trennt“
Den Auftakt der „Ostfilderner Portraits“ im Stadthaus bildete ein Gespräch mit Dr. h.c. Theo Sorg, dem ehemaligen Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Die gemeinsame Veranstaltungsreihe der Bürgerstiftung und der Volkshochschule stellt in loser Folge Persönlichkeiten unserer Stadt aus Kultur, Wirtschaft, Gesellschaft und Politik vor. Das zweieinhalbstündige Gespräch wurde von Dr. Peter Stapelberg vom Vorstand der Bürgerstiftung moderiert. Schülerinnen und Schüler der Musikschule Ostfildern umrahmten den kurzweiligen Gesprächsabend mit mehreren Flötenstücken.
Dr. Theo Sorg, der seit vielen Jahren mit seiner Familie in Kemnat zuhause ist, berichtete sehr eindrücklich über seine beruflichen und persönlichen Lebensstationen. Geboren 1929 als Pfarrerssohn in Nierstein, verbrachte Sorg seine Kindheit in Marbach am Neckar. Er gehöre zu der Generation, die ihre Jugend durch den Krieg „verloren“ hat. Aufgewachsen im christlichen Elternhaus und als
Jungscharleiter war er tagtäglich den Einschüchterungen der Machthaber ausgesetzt. Als bester Abiturient des Marbacher Gymnasiums war er für den Schillerpreis vorgesehen. Diese Ehre wurde ihm jedoch 1945 aufgrund seines Engagements in der evangelischen Jugendarbeit vorenthalten. Erst 47 Jahre später, zur 600-Jahrfeier des Marbacher Gymnasiums, wurde die damalige Entscheidung korrigiert und der Schulleiter überreichte dem Landesbischof, der als Ehrengast zu den Feierlichkeiten eingeladen war, die gesammelten Werke Schillers in Buchform.
Schon sehr früh entschied sich Sorg für den Pfarrdienst. „Es gibt nur wenige Berufe, wo man von der Geburt bis zum Tod so nah mit den Menschen zusammen ist“, erläutert er. Nach dem Studium wurde er Vikar in Metzingen, Jugendpfarrer in Stuttgart und mit 31 Jahren Leiter des Landesjugendwerkes. Er bemühte sich jedoch, so bald wie möglich wieder in den Gemeindedienst zu kommen, denn „das Gemeindepfarramt ist die hohe Schule der theologischen Existenz“. Sechs Jahre später erhielt er den Ruf als Pfarrer in der Stuttgarter Stiftskirche, 1973 wurde er Leiter des theologischen Dezernats, 1980 Prälat und schließlich 1987 von der Synode zum Landesbischof gewählt.
Als Landesbischof verstand er sich stets als Brückenbauer zwischen den unterschiedlichen Frömmigkeitsrichtungen der württembergischen Landeskirche. Als Autor zahlreicher Publikationen versuchte er, die Botschaft der Bibel in eine Sprache zu übersetzen, die in einer säkularisierten Welt verstanden wird.
Als Bischof wollte er sich ein Kruzifix in sein Büro hängen und bestellte eine Künstlerin zu einem ersten Gespräch. Sie fragte nach einem Stichwort. Er überlegte kurz und antwortete: „Das Auseinanderstrebende zusammenhalten“. Die Künstlerin bedankte sich und präsentierte alsbald ein sehr gelungenes symbolisches Werk: ein in der Mitte gespaltenes Kreuz, das allein durch die Arme Jesu zusammengehalten wird. Das Kruzifix hängt heute noch im Amtszimmer von Frank July, des heutigen Landesbischofs in Stuttgart.
1974 zog Sorg mit seiner Frau und seinen vier Kindern (und inzwischen sechs Enkeln) nach Kemnat und ist heute noch ehrenamtlich aktiv in der evangelischen Kirchengemeinde und im Kemnater Seniorenkreis. Er sieht die beiden großen Kirchen auf einem guten Weg der Zusammenarbeit. Zwar bestünden auf der Leitungsebene noch einige Unterschiede, auf Gemeindeebene gebe es aber immer mehr Miteinander. Jeder Mensch, jeder Bürger und die Gesellschaft als solche sollten das Miteinander in den Mittelpunkt stellen: „Was uns eint ist größer und wichtiger, als das, was uns trennt“.

Landesbischof a. D. Theo Sorg im Gespräch mit Peter Stapelberg.