Bürgerstiftung Ostfildern fördert Projekt „Meine Welt – unsere Welt“ im Nachbarschaftshaus im Scharnhauser Park
Im Offenen Atelier des Nachbarschaftshauses Scharnhauser Park in Ostfildern herrscht geschäftiges Treiben: An zwei großen Tischen wird gemalt, mit Ton modelliert, werden Girlanden und Figuren ausgeschnitten oder phantasievolle Objekte aus den unterschiedlichsten Materialien zusammengefügt. „Meine Welt – unsere Welt“ heißt das aktuelle Projekt, zu dem sich an sechs Mittwochnachmittagen Im Oktober und November jeweils Menschen aus dem Haus, aus dem Stadtteil, aber auch aus umliegenden Orten zum gemeinsamen kreativen Tun treffen. Es sind Menschen aller Generationen. Die Bildhauerin Birgit Rehfeldt und die Kunsttherapeutin und Keramikkünstlerin Regine Gienger unterstützen die Teilnehmer und geben künstlerische Impulse.
„Es soll ein Begegnungsprojekt sein, in dem sich Bewohner der Wohngemeinschaft Lichtblick, des Samariterstiftes des betreuten Wohnens und Gäste der Tagespflege mit Menschen, die von außen kommen, zusammenfinden“, erklärt Gisela Burgfeld, eine von drei Volunteers, die die Nachmittage begleiten. Jeder könne seine Welt in Form seiner Ideen einbringen und dazu beitragen, dass im Austausch etwas Gemeinsames -„unsere Welt“ – entsteht. Sie betont: „Es kann, aber es muss nichts entstehen.“
Das Spektrum der Kreativität zeigt ein runder Tisch, auf dem sich Stück an Stück reiht: Figuren aus Holz, getöpferte Tiere, Geflechte aus Filz und vieles mehr. „Es soll eine Art Tagebuch dessen sein, was hier entstanden ist“, erklärt Birgit Rehfeldt. Sie und Regine Gienger gehen von Tisch zu Tisch, von Platz zu Platz und geben immer wieder Anregungen, bieten Materialien an oder unterstützen mit technischen Tipps.
„Eigentlich habe ich nie gerne gebastelt“, gesteht Lore P. „Doch hier bin ich richtig glücklich“, sagt die 80-Jährige und bemalt eifrig eine Laterne aus Metall in Rosa und Blau. Neben ihr formt Christa H. einen kleinen Esel aus Ton. Die 53-Jährige begeistert sich an der Fülle der Materialien, die sich auf den Tischen türmen. Bunte Wolle, Stoffreste, Muscheln, Knöpfe, Federn, Bast, Ton, Gips, Hölzer und Rindenstücke warten darauf, zu Kunstwerken zu werden. Dass im Offenen Atelier das Ausprobieren und nicht das Produzieren im Mittelpunkt steht, gefällt ihr: „So ganz ohne Druck zu arbeiten, das tut mir gut.“
Maria S. lebt im betreuten Wohnen in Nellingen und kommt gemeinsam mit zwei anderen Bewohnerinnen regelmäßig ins Atelier. Für diesen Nachmittag hat sich die 92-Jährige einen Engel aus Ton vorgenommen. Behutsam glättet sie die Oberfläche. Regine Gienger zeigt ihr, wie sie die zarten Flügel, die immer wieder abzufallen drohen, befestigen kann. Die betagte Dame hat im Offenen Atelier sichtlich Freude: „Hier habe ich ganz neu meine Leidenschaft für die Kunst entdeckt“, sagt die frühere Lehrerin.
Monika K. ist erst vor wenigen Monaten in den Scharnhauser Park gezogen und glücklich, dass sie das Offene Atelier entdeckt hat. „Töpfern war ein jahrzehntelanges Verlangen, dem ich hier endlich nachgehen kann“, verrät die 67-Jährige, während sie einen Kopf aus Ton formt. Günter S. (85) ist Gast der Tagespflege und gestaltet am Nebentisch einen Baum mit Vögeln aus Karton. „Meinem Vater macht das hier richtig Spaß“, erzählt seine Tochter Andrea, die gekommen ist, ihn abzuholen.
Es ist ein Kommen und Gehen im Atelier: Wer müde wird, darf sich zurückziehen, andere stoßen erst später dazu. Mit freudigem Hallo wird Anne K. (92) begrüßt, die im Rollstuhl von ihrer Tochter in den Raum geschoben wird. „Meine Mutter kann fast nichts mehr machen, aber die Atmosphäre tut ihr gut“, sagt Elsbeth P. und reicht ihr ein Kästchen mit kleinen Hölzern, Steinen, Knöpfen, Korken und Filzwolle. Anne K. befühlt die Dinge vorsichtig, um sie dann vor sich auf den Tisch zu legen. Der eine oder andere sitzt auch nur dabei und beobachtet, was die anderen tun. Zur abschließenden Singrunde versammeln sich dann alle Teilnehmer rasch und stimmen begeistert in die traditionellen Lieder ein, bevor die Gruppe auseinandergeht.
Gisela Burgfeld freut sich, dass das Konzept aufgegangen ist: „Hier entsteht ganz intensiv Begegnung.“ Das drücke sich auch darin aus, dass sich die Teilnehmer gegenseitig unterstützten. „Wir Künstlerinnen können eine Art Brücke sein“, sagt Regine Gienger. Für das offene Konzept sei ganz wesentlich, dass ohne Druck Dinge entstehen könnten. „Die Teilnehmer überlassen sich dem Material“, ergänzt Burgfeld. Die Impulse, die von den beiden Künstlerinnen eingebracht werden, wirken auch im „Normalbetrieb“ weiter. Denn an drei von bürgerschaftlich engagierten Volunteers begleiteten Nachmittagen pro Woche steht das Atelier Menschen zur künstlerischen Betätigung offen.
„Dass die Menschen sich im Offenen Atelier wohlfühlen, hat Hans-Ulrich Steinhilber, Vorstandsmitglied der Bürgerstiftung Ostfildern, beobachtet. „Es entstehen hier ganz tolle Dinge.“ Die Bürgerstiftung fördert das Atelier im Rahmen einer privilegierten Partnerschaft mit jährlich 5000 Euro. „Wir haben da eine wunderbare Nische entdeckt, in der wir uns gerne engagieren“, sagt Steinhilber. Er freut sich, dass im Atelier Menschen mit und ohne Demenz zusammenkommen. Das Offene Atelier ist eine Einrichtung der Erich und Liselotte Gradmann-Stiftung. Das Konzept wurde von der Demenz Support Stuttgart gemeinsam mit der Leitstelle für Ältere in Ostfildern entwickelt.
Die Werke, die im Projekt „Meine Welt – unsere Welt“ entstanden sind, werden am 30. November beim öffentlichen Familiensonntag zwischen 14.30 und 17 Uhr im Offenen Atelier, Bonhoefferstr. 4 in Ostfildern präsentiert.

Fotohinweis: Emsige Künstler im Offenen Atelier des Nachbarschaftshauses.
Text und Foto: Ulrike Rapp-Hirrlinger